Donnerstag, 12. Juli 2012

[Story] Fortsetzung folgt

Es fiel mir schon immer schwer neue Sprachen zu lernen. Wenn ich da an die Schulzeit zurückdenke - an Englisch. Meine Freunde hätten wohl gesagt ist doch eher eine leichte Sprache. Sie hätten gesagt du musst nur mehr zu Hause lernen oder hätten mir sogar beim lernen geholfen - hätte ich welche gehabt. Tatsache war leider, dass ich praktisch seit dem ersten Tag nicht dazu gehört hatte. Am Anfang war es erträglich. Ich sprach sie nicht an und sie mich nicht. Von daher ist es sicherlich auch meine Schuld das es überhaupt soweit kam.
Irgendwann begannen sie sich darüber lustig zu machen, dass ich nichts sagte. Ich verteidigte mich nicht - redete nicht. Taten sie es um auszutesten wann ich etwas sagen würde? Oder mich gar wehren würde? Ich weiß es nicht. Aber es wurde schlimmer...
Sie begannen mir auf den Fluren Beine in den Weg zu stellen, Luft aus den Schläuchen meines Fahrrades zu lassen, mich mit Papierkugeln zu bewerfen und sorgten dafür das alle paar Wochen *zufällig* eine Safttüte in meinem Rucksack auslief, was meine Schulbücher von mal zu mal unleserlicher machte. Auch ließen sie kaum eine Möglichkeit aus mir auf den Fluren ,,Was guckst du den so blöd" und ähnliches hinterher zu rufen, so dass ich mir schnell angewöhnte mit gesenktem Blick durch die Gänge zu eilen und mich in Ecken zu verdrücken in die man eher selten sah.
Die Lehrer versuchten ab und zu mich zu integrieren. Zwangen mich bei Schulprojekten mitzumachen und bestraften dann und wann welche von denen die mich mobbten. Aber eher selten da ich nie petzte und die Namen der Schüler (da ich ja fast nur zu Boden sah) eh nicht zuordnen konnte. Außerdem brachten die Strafen, wenn sie den mal welche bekamen, nur geringfügig etwas. Nämlich das sie mich noch stärker mobbten als vorher.

Mein 14. Geburtstag war wohl der schrecklichste Tag in meinem Leben. Zumindest bisher, dass kann ich euch versichern. Es fing an wie jeden Tag. Nicht mal besonders schlimm. Mein Fahrradreifen war ausnahmsweise nur platt und hatte kein Loch. Nachdem ich ihn aufgepumpt hatte, verabschiedete ich mich von meiner Mum. Mein Dad war in der Garage und checkte das Auto. Wenn ich zur Schule fahren würde, würden sie in die Stadt fahren und für unseren Urlaub einkaufen. Ich freute mich schon sehr auf den Urlaub. Auch wenn man sich als Junge in meinem Alter sicher lieber die Zunge abbiss als es zuzugeben, aber ich liebte meine Eltern. Und zwei Wochen mit ihnen und ohne die Schulfolter kamen mir vor wie der Himmel auf Erden.
Sie nahm mich in den Arm und fragte besorgt: ,,Schatz, bist du wirklich sicher das wir nicht umziehen sollen damit du die Schule wechseln kannst?" Ich wollte die Schule wechseln. Mehr als alles andere. Aber wenn wir umzögen müssten meine Eltern ihren Traum von einem eigenen Haus aufgeben. Im Augenblick hatte das Haus durch die aktuelle Marktlage viel an Wert verloren. Wert den es sicher wiedergewinnen würde, wenn es meinen Eltern dann noch gehörte. Jetzt zu verkaufen wäre... dumm.
,, Nein Mum, im Augenblick ist es gar nicht so schlimm. Sorgt euch nicht meinetwegen." Die Lüge kostete mich viel Kraft, aber als sich ihr Gesicht aufhellte machte es die Mühe gleich doppelt wieder wett. Und so schwang ich mich auf den Sattel und fuhr los.
Auch während des Unterrichts passierte noch nicht wirklich was Schlimmes. Wie immer. Ich sagte nur etwas wenn der Lehrer mich drannahm und hielt mich von meinen Mitschülern fern. Wir bekamen auch eine Arbeit zurück. Eine zwei. Mist. Ich bemühte mich immer dreien zu schreiben. Durchschnittliche, nicht zu gute - nicht zu schlechte dreien. Dreien wegen denen man nicht noch mehr gemobbt (Streber - Idiot) werden konnte.

Ich kam gerade aus dem Schulgebäude und ging Richtung Fahrradständer als ich die Gruppe
sah die zwischen mir und meinem Fahrrad stand. Wie ich es gewöhnt war machte ich, möglichst unauffällig, einen leichten Bogen um sie. Als jemand den ich nicht hatte kommen hören / sehen mich in ihre Richtung schubste. Eh ich wusste was los war, griffen sich zwei Jungs meine Arme und hielten sie auf meinem Rücken fest. Die nächsten zwanzig Minuten verdränge ich am liebsten. Es war schmerzhaft und ... sagen wir es so. Ich kann inzwischen gut nachvollziehen warum Vergewaltigungsopfer der Polizei so ungern von ihren Erlebnissen erzählen. Mal im ernst, selbst mir fällt es gerade schwer. Und das obwohl ihr nicht gerade mit einem Notizblock oder gar einer altmodischen Schreibmaschine dasitzt und mich durchdringend anstarrt. Also, wo war ich stehen geblieben... ach ja.

Sie hielten meine Hände auf meinem Rücken fest und mir die Augen zu. Rissen mir meine Jacke und Sweatshirt vom Leib. Erst versuchten sie es auch mit der Hose doch die war zu stabil. Und so zogen sie mich kurzerhand komplett aus. Ich hatte nicht versucht mich zu wehren. Und allein für diese Tatsache ekelte ich mich selber an. Es war kalt. Obwohl es erst Mitte November war lag der Schnee schon dick überall wohin der Blick auch wanderte. Wenn ich vorher nicht vor Angst gezittert hatte, zitterte ich spätestens jetzt vor Kälte. Sie schlugen mich solange bis ich zu schwach war um mich aus eigener Kraft auf den Beinen zu halten. Bis ihr festhalten zu einem Obenhalten wurde. Dann schoben sie mir einen dicken Stock schmerzhaft in den Hintern. Ein hilfloses Schluchzen kam über meine Lippen. Jemand anderes, wie gesagt ich sah nichts, griff nach meinen Hoden und presste sie. Pressen, das drücken von etwas weicherem zwischen zwei konstant harten. Ich schrie gequält. Sie lachten und drückten noch etwas fester. Als ich mir vor Schmerz in die (nicht vorhandene) Hose machte ließen sie lachend von mir ab und gingen weg.

Ich weiß nicht wie lange ich dort zitternd im Schnee lag. Betete verzweifelt darum, dass jemand kam und mich ins warme brachte oder wenigstens Bewusstlos schlug. Eigentlich war mir letzteres sogar lieber. Hier erfrieren. Weder Kälte, Schmerz oder Scham jemals wieder spüren. Ich weiß nicht mehr wann, aber irgendwann wurde ich dann doch endlich ohnmächtig...

Fortsetzung folgt...



Damals hatte mich eine Lehrerin gefunden. Da ich ohnmächtig war, weiß ich es nur, weil es mir eine Krankenschwester erzählte. Sie hatte einen anderen Lehrer gerufen und gemeinsam hatten sie mich ins Krankenzimmer getragen, in ein paar Wolldecken gewickelt und den Notarzt gerufen. Sie versuchten mehrere Tage lang meine Eltern zu informieren, bis schließlich zwei Polizisten vor meinem Bett standen. Eine davon, eine kleine, dünne Polizistin mit zu einem strengen Pferdeschwanz gebundenem, blondem Haar, erzählte mir mit leiser Stimme das meine Eltern bereits vor mehreren Tagen bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. An meinem Geburtstag. Außer ihnen hatte ich keine lebenden Verwandten mehr gehabt. Was nun?
Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bekam ich einen Platz in einem Kinderheim. Ich würde nicht sagen, dass ich dort glücklich war, aber mir ging es besser. Die Negativität meiner Schulzeit und das positive mit meinen Eltern wurden zu einem beständigen neutral.
Die Kinder des Heims redeten zwar auch nur selten und wenn dann nur das nötigste mit mir (Hast du mal Feuer? Kann ich die Hausaufgaben abschreiben? Du sollst zur Chefin wegen der Beerdigung) Aber da ich noch neu für sie war, waren sie von den Mobbing-Anführern noch nicht so aufgehetzt. Was habe ich nur an mir, dass ich es immer schaffe mich, ohne etwas besonderes zu tun, ins Abseits zu stellen?

Bereits nach nur zwei Monaten wurde ich adoptiert. Meine... ja, wie nannte man die Personen die sich bis dato im Heim um uns gekümmert hatten eigentlich? Erzieherin? Heimbetreuerin? Naja, jedenfalls meinte sie ich hätte unglaubliches Glück gehabt. Kaum ein Junge, oder generell ein Kind, wurde mit 14 Jahren noch adoptiert. Wahrscheinlich nahmen sie es gerade deswegen mit den Hintergrundrecherchen zu meiner Stieffamilie nicht allzu genau...
Als meine neuen Stiefeltern mich abholten, hatte ich bereits kein gutes Gefühl. Die Formalitäten waren bereits zwei Wochen vorher erledigt worden und so musste ich nur meinen Rucksack, in dem ich nur ein paar Kleidungsstücke und meinen MP3 hatte, packen und ins Auto steigen.
Mein Stiefvater, ein 41 jähriger, glatzköpfiger, großer Mann in einem chicen grauen Anzug mit Krawatte und meine schlanke Stiefmutter mit ihren 37 Jahren in ihrem eng anliegenden, geblümten Kleid waren eindeutig vorzeigbar.
Wo fange ich nun am besten an? Und wo höre ich auf?
Wir fuhren mit einem gepflegten, aber schon ein paar Jahre auf dem Buckel habenden Audi mehrere hundert Kilometer bis zu einem kleinen Dorf im grünen. Auf der Fahrt dorthin kam ich schnell mit meiner neuen ,,Nenn mich einfach Mum" Stiefmutter ins Gespräch. Ich erfuhr das sie sich schon immer ein Kind gewünscht hatte, sie zu einem kleinen Haus fuhren, was hoffentlich, wenn alles gut ginge, in 12 Jahren ihnen gehören würde, dass sie von zu Hause aus als Architektin für ein paar, ständig wechselnde Kunden arbeitete.
Dort angekommen führte sie mich durch das ganze Haus und zeigte mir zum Schluss mein Zimmer. Ein kleines, gemütliches Dachgeschoßzimmer mit einem weichen Bett, Fernseher, Kleiderschrank, Schreibtisch und sogar einem gebrauchten Laptop als ,,Willkommen in unserer Familie-Geschenk.

Wochen und sogar Monate vergingen relativ ereignislos. Wieder erwarten fühlte ich mich bei ihnen wohl. In der Schule wurde ich zwar inzwischen wieder geärgert, doch es war eher ein fobben als mobben. Jeder der jemals ein Außenseiter war, dem brauche ich den Unterschied nicht zu erklären. Für alle anderen... lasst mich überlegen wie ich es am Besten formuliere... Stellt euch eine Skala von 1 - 5 vor. Auf dieser ist 5 das schlimmste. Mobben. Fobben gehört eher in die 2-3er Kategorie. Also um wieder aufs Thema zurück zu kommen. Mir ging es relativ gut.
Bis ich das Geheimnis meiner Stiefmutter erfuhr...

Ich suchte meine Stiefmutter. Weswegen das weiß ich heute nicht mehr. Kennt ihr das? Dass, wenn etwas passiert das einen extrem erschüttert oder das Auslöser für etwas stark lebensveränderndes ist, Kleinigkeiten aus eben dieser Zeit aus dem Gedächtnis verschwinden?
Bei mir war es so.
Ich klopfte an ihre Schlafzimmertür, hinter der ich sie vermutete. Durch die Tür drang leise Musik, so dass sie mich vermutlich nicht hörte. Leise öffnete ich sie einen Spalt. Bereit, sie jederzeit blitzschnell wieder zu schließen falls sie sich gerade umzog oder etwas ähnliches. Meine Mutter stand mit dem Rücken zu mir vor ihrem Spiegel. Im Spiel konnte ich ihre Haare sehen - die sie in der Hand hielt. Ich rang nach Luft während sie sich bleich zu mir umdrehte.

Einige Sekunden standen wir schweigend voreinander. Dann atmete sie tief durch, setze sich ihre Perücke wieder auf den Kopf und bat mich, mich hinzusetzen. ,,Ich hätte es dir beichten sollen. Ich möchte dass du verstehst warum ich dir nichts erzählt habe. Schon mein ganzes
Leben habe ich mir Kinder oder wenigstens ein Kind gewünscht. Mein Mann und ich haben
es beinah 12 Jahre probiert. Nun, sind wir weder jung noch wohlhabend. Zwei Dinge die bei einer Adoption eigentlich fast Pflicht sind. Als auch noch meine Krankheit - der Lungen- und Hirntumor dazukam waren unsere Chancen jemals ein Kind adoptieren zu dürfen praktisch null. Also haben wir diesen Teil... verheimlicht. "
Ihre Augen füllten sich mit Tränen und ihre Aussprache wurde immer undeutlicher während sie weitersprach. ,,Als wir die Zusage bekamen, dich adoptieren zu können, war ich... unbeschreibbar glücklich. Ein eigenes Kind, noch dazu ein 14jähriges Problemkind, das mich meine eigenen Sorgen vergessen lässt. Aber... schluchz... du bist kein Problemkind... du bist das Beste was einer Mutter widerfahren kann. Ihre Stimme erstarb.

Kurz nach diesem Geständnis sähte der Krebs. Umso schlimmer es um meine Stiefmutter stand, umso stärkere Schmerzen sie hatte, bleicher und dünner sie wurde, umso griesgrämiger und streitlustiger wurde mein Stiefvater. Man sollte meinen, dass man alles tut um es denen die man liebt in so einer Situation leichter zu machen. Naja, ich vermutete dass er seelisch schwächer als körperlich war und tat meinerseits alles um es meiner Mum leicht und angenehm zu machen.
Trotzdem dauerte es nachdem der Krebs gesäht hatte, keine drei Monate mehr bis sie starb.

Mein Stiefvater begann zu trinken. Es gibt Personen die werden lustig, unterhaltsam und locker wenn sie betrunken sind. Zu denen gehörte er weiß Gott nicht. Er kam meist spät abends nach Hause - was seit ihrem Tod gar kein zu Hause mehr war. Schlug und trat mich, drückte Zigaretten auf mir aus und tat alles was ihm sonst noch so einfiel.
Warum ich mich nicht wehrte oder weglief? Zum einen, weil er trotz meiner inzwischen 16 Jahre fast einen Kopf größer und 20 Kilogramm schwerer war. Zum anderen fühlte ich mich wegen meiner verstorbenen Stiefmutter verpflichtet bei ihm zu bleiben. Unbestritten hatte sie ihn geliebt.
Warum er mich schlug? Ich sagte zu viel oder zu wenig, im Kühlschrank war zu wenig, etwas zu teures oder etwas falsches, das Haus war nicht sauber und meine Noten zu schlecht. Er fand fast immer einen Grund. Und wenn nicht, war es auch nicht schlimm. Den niemand forderte eine Erklärung...

Fortsetzung folgt...



So blieb es die letzten drei Jahre bis ich alt genug war um auszuziehen. Wäre dies eine Geschichte oder ein Film würde ich jetzt wohl die Zähne zusammenbeißen und um mein Leben und Glück kämpfen. Nun leider ist es weder das eine noch das andere. Ich zog in eine heruntergekommene Ein-Zimmer-Wohnung mit abblätternder Tapete und Schimmel in den Ecken. Mit leckendem Wasserhahn und nur lauwarmem Wasser. Im Haus in dem ich wohnte waren von den 12 Parteien mindestens 9 Harz4-Empfänger. Die Gegend fast ein Ghetto.
Ich begann zu rauchen und kurze Zeit später auch zu trinken. Ich hatte furchtbare Albträume von dem Mobbing in der Schule, den Beerdigungen meiner Eltern und später auch meiner Stiefmutter, den Situationen in denen mich mein Stiefvater verprügelte oder auch als meine Stiefmutter mir beichtete das sie Krebs hatte. Beides half mir irgendwie dabei mich zu entspannen. Meine Vergangenheit und nicht zuletzt auch die Gegenwart auszublenden. Umso länger ich in der Gegend wohnte, ohne Job, Freunde und Familie, umso stärker wurde das Gefühl der Minderwertigkeit. Ein Gefühl was einen bitteren Geschmack im Mund und ein brennendes im Herzen hinterlässt.
Einmal pro Woche ging ich zum Arbeitsamt. Ein-Euro-Jobs in denen ich nach kurzer Zeit
wieder entlassen wurde obwohl ich mich ernsthaft bemühte mich gut anzustellen. Wisst ihr was es bedeutet wenn: ,,Er hat sich steht’s bemüht…" in einem Zeugnis steht? Es bedeutet :,,Er hat’s versucht aber nie geschafft. Eine Niete!" So etwas zu hören war jedes Mal ein Schlag ins Gesicht für mich. Wie lässt sich das Gefühl am besten erklären.... Stellt euch vor ihr seid bereits erwachsen und man würde euch trotzdem noch mal in die erste Klasse schicken - und ihr wärt der Schlechteste dort.
Von so einem Besuch beim Arbeitsamt kam ich auch, als ich an der Ecke an der auch meine Wohnung lag die Jankies sah. Junge, drogenabhängige Leute, die wie ich erst seit kurzem erwachsen waren und nichts mit sich anzufangen wussten. Sie lachten und erzählten schmutzige Witze. Ihr Leid sah man ihnen nicht an. Es ging gerade eine kleine Tüte mit einem weißen Pulver rum. Ich weiß nicht was mich damals dazu trieb. Vielleicht war ich so niedergeschlagen vom Tag auf dem Arbeitsamt, vielleicht war ich aber auch generell mit meinen Kräften am Ende. Jedenfalls ging ich hin und kaufte etwas von dem Pulver.
Wie ich es schon optisch bei den Jankies gesehen hatte, wirkte das Pulver wahre Wunder. Es war zwar mit 50€ sehr teuer gewesen aber ich wollte die Probleme ja nicht chronisch damit ausblenden, sondern nur ein oder zwei Tage. Also würde ich auch nicht süchtig werden, sagte ich mir. Und so setzte ich mich aufs Bett (die einzige Sitzmöglichkeit in meine Wohnung) und holte das Päckchen aus meiner Jackentasche. Und so begann ich Drogen zu nehmen.
Auch wenn ich mir gesagt hatte das ich sie nur ein oder zweimal nehmen würde, fiel mir immer eine andere Ausrede ein mich selbst zu belügen. Das Arbeitsamt hatte mir heute besonders zu schaffen gemacht, ein echt fieser Albtraum, ich hatte schon wieder nichts essbares im Kühlschrank und auf einmal mehr oder weniger kam es ja ohnehin nicht an.
Schon bald rissen die *gelegentlichen* Drogen eine erhebliche Lücke in mein Portmonai und ich versuchte aufzuhören - versuchte es wirklich. Doch ohne es zu merken war ich längst abhängig geworden. Ich begann das wenige was ich besaß zu verkaufen. Fernseher, Radio, DVD-Player, Bett - alles entbehrlich. Irgendwann gab es nichts mehr zu verkaufen. Ich träumte davon wie ich zum Arbeitsamt ging und sagte: ,,Ich bin so ein guter Arbeitsloser, ich verdiene eine Gehaltserhöhung!", und das erste Mal seit langem wachte ich mit einem Grinsen auf dem Gesicht auf, auch wenn es nicht lange hielt.
Nach mehreren Tagen konnte ich nicht mehr schlafen so sehr brauchte ich die Drogen. Ich wanderte mit zitternden Händen durch die dunklen Gassen. Es war weit nach Mitternacht doch um Zeiten scherte ich mich schon ne ganze Weile nicht mehr. Ich weiß nicht wie ich euch beschreiben soll wie verzweifelt ich damals war. Hier hört es sich sicher nüchtern und sachlich an, aber hat einer schon mal einen Entzug mitgemacht? Oder wenigstens in einer Soap mal gesehen wie so einer abläuft? In Soaps wird ja so einiges dramatisiert, aber wenn da einer gefesselt auf einem Bett liegt, vor Schmerzen schreit, schwitzt und um Hilfe fleht, wenn man richtig sieht das jedes rationale Verhalten passe ist, dann ist das etwa die Situation in der ich mich damals befand. Ich war inzwischen soweit das ich so ziemlich alles für ein noch so winziges Päckchen von egal welcher Drogensorte gegeben hätte. Wenn ich nur wüsste was ich noch geben konnte...

Du verdienst es nicht zu Leben, bring dich um.
Mach einen Bankraub.
Brich irgendwo ein, dann hast du Knete.

Hunderte solcher Ideen schossen mir durch den Kopf. Das einzig Gute, was ich auf die damalige Zeit bezogen sagen kann, ist das ich mich strickt weigerte andere zu verletzen. Ich weiß nicht wie lange ich es noch geschafft hätte auf diesem Standpunkt zu beharren. Lange sicherlich nicht mehr. Oft stand ich in meiner Verzweifelung in der Küche. Ein großes Messer auf meine Kehle gerichtet.
Wenn du jetzt den Mut aufbringst zuzustechen hast du es in wenigen Minuten hinter dir.
Oder ich saß auf meinem Bett, die Hand voller Schlaftabletten.
Du wirst nichts spüren...
Fest entschlossen mich umzubringen füllte ich Wasser in Tupperboxen die ich dann in die Eistruhe legte. Ein paar Stunden später, nachdem ich einen herzzerreißenden Abschiedsbrief, in der Hoffnung, wer auch immer ihn lese und mich fände, möge es nicht ganz egal sein das ich starb, holte ich die Tupperboxen aus dem Eisfach, und legte mich in die Wanne. Den Wasserhahn drehte ich bei minimalem Strahl so kalt es ging auf. Als die Wanne halb voll war zitterte ich wie verrückt. Ich drehte den Strahl ganz auf und spürte wie das Wasser meinen Brustkorb bedeckte. Mein Atem beschleunigte sich. ,,Das ertrag ich nicht.", dachte ich Zähne klappernd. Warf jedoch trotzdem die riesigen Eiswürfel ins Wasser. Mein Herz raste. Meine Haut brannte vor Kälte. ,,Das überleb ich nicht", dachte ich und schalt mich in der nächsten Sekunde selbst. Ich wollte es doch auch nicht überleben. Irgendwann übernahm mein Lebenswille die Kontrolle und ich wollte mich aus der Wanne ziehen. War allerdings durch die Kälte bereits zu geschwächt dazu. Mit letzter Kraft zog ich den Stöpsel aus der Wanne bevor ich Ohnmächtig wurde. Als ich wieder zu mir kam zitterte ich noch immer. Hilflos schluchzte ich auf. ,,Du Feigling, du Arsch, schreibst so einen Mitleiderregenden Brief vonwegen du ertrügest es nicht mehr und glaubst es sogar selber und dann kneifst du!" Ich schloss dich Augen. Wollte nurnoch in mein warmes, weiches Bett. Natürlich symbolisch gesprochen den mein Bett hatte ich ja bereits vor einigen Wochen verkauft. Nach mehreren Minuten brachte ich endlich die Kraft auf mich aus der Wanne zu ziehen und kuschelte mich in die Ecke aus Decken und Kissen die inzwischen mein Bett ersetzte.

Jedenfalls hatte ich schon einige Male versucht mich zu erlösen und war zu feige gewesen. Nun brauchte ich eine Möglichkeit an Drogen zukommen. Also wie gesagt wanderte ich durch die dunklen Straßen auf der Suche nach der Idee die mich erlöste.
Am Ende einer der vielen Gassen sah ich einen Mann Drogen verkaufte. Ich rannte blind vor Gier hin und fiel vor ihm auf die Knie. ,, Bitte geben Sie mir was! Ich tue was sie wollen!!!"
,,Komm mit Junge" Ich hatte es schon oft in Talkshows zum Thema Drogen und Geldbeschaffung gehört. Mir war natürlich auch klar, dass es das nicht nur für Frauen gab, schließlich gab es ja auch Schwule. Dennoch hatte ich nie bewusst darüber nachgedacht auf diese Weise an Geld zu kommen. Hatte die Möglichkeit vielleicht auch unbewusst verdrängt wegen meiner schulischen Vergangenheit. Nun, sah ich sie und ich nutzte sie auch wenn es mir ein gräul war - ich ging auf den Strich.

Eines morgens nach einer besonders Arbeitsreichen Nacht wachte ich mit Schüttelfrost, Fieber und einem beinah unerträglich brennenden Unterleib auf. Ich drehte mich auf die Seite und krümmte mich zusammen. Tränen traten mir in die Augen sosehr brannte es. ,,Hilfe:", flüsterte ich gequält. Mit meiner *Arbeit* verdiente man zwar viel Geld, aber Drogen waren unglaublich teuer. Das merkte ich das erste Mal bewusst, als ich trotz eines schmerzenden Hinterns weder Geld in meinem Portmonai noch Drogen in meiner Reichweite fand. Gequält griff ich nach meinem Handy. Nein, es gehörte nicht mir, aber mein Zuhälter wollte dass ich erreichbar war um unseren Kunden schneller zu diensten sein zu können. Jedenfalls rief ich ihn an. Ihr denkt er wünschte mir eine gute Besserung und schickte mir die Knete per Post? Weit gefehlt. Ich bekam kurz und knapp gesagt, das ich, wenn ich nicht auftauchen würde, mir einen anderen Job suchen könne und bei ihm nicht mehr aufzutauchen brauche. Ich versuchte daraufhin zwar ernsthaft aufzustehen, doch ich schaffte es bei weitem nicht. Und
das war gut so. Nach fast zwei Tagen war ich fest davon überzeugt zu sterben. Meine Situation hatte sich nur in soweit verändert, dass ích seitdem nichts gegessen und kaum getrunken hatte. Außerdem zeigte mein Körper erste, alles andere als angenehme, Entzugserscheinungen. Krämpfe; Atemnot und Herzrasen begannen mich heimzusuchen.

In einem klaren Moment wurde mir eines klar: ,,Wenn du jetzt keine Hilfe bekommst ist dein Leben verwirkt." Ich griff erneut nach dem Handy. Diesmal rief ich 112 an. ,,Bitte... helfen sie mir", war alles was ich sagen konnte bevor mich ein weiterer Krampf heimsuchte und ich gequält wimmerte. Nach einer scheinbaren Ewigkeit hatten sie endlich alle Daten in ihren Computer eingegeben und einen Krankenwagen losgeschickt. Irgendwie muss ich wohl eingedöst oder auch kurz ohnmächtig geworden sein, den als ich meine Augen das nächste Mal öffnete strich mir ein wunderschöner Engel mit zarten Fingern über die Stirn. ,,Haben Sie uns angerufen? Sie brauchen Hilfe?!" Ein Schluchzen kam über meine Lippen und ich nickte heftig. Unwirklich nahm ich wahr wie sie mich auf eine Trage hoben, mir ein Mittel spritzen was die Schmerzen linderte und mich ins Krankenhaus fuhren. Ich blickte dem Engel vom Krankenhausbett an. Sie sprach zu mir. Es kostete mich viel Konzentration ihre Worte zu verstehen. ,,Mein Name ist Sam. Wir sorgen dafür das du einen Entzug machst. Tu dir selbst einen Gefallen und werd nicht rückfällig." Ich nickte und konnte nicht anders als mich ein wenig zu winden. ,,Wirkt das Medikament etwa noch nicht? Hast du noch Schmerzen?" Ich wurde feuerrot und konnte ihr plötzlich nicht mehr in die Augen sehen. Doch als sie weiter drängte beichtete ich es ihr schließlich und eine Krankenschwester kümmerte sich um das Problem *Tripper* Was mochte Engel Sam nur von mir denken? Ein Arbeitsloser, drogensüchtiger Trunkenbold mit einem Tripper. Danach gaben sie mir einen Zettel den ich unterschreiben sollte. Eine Einverständniserklärung dafür das ich dem Entzug zustimmte. Während ich unterschrieb zitterte meine Hand furchtbar. Ich betete das ein Entzug nicht so schmerzhaft und dramatisch war, wie er beispielsweise in Soaps dargestellt wurde.
Doch es war schlimmer. Mir wurden ledernde Fesseln um Arme, Beine und Bauch geschnallt. Am Anfang war es zwar unangenehm aber erträglich. Ich wand mich ein wenig und zitterte. Doch nach knappen zwei Tagen schrie, weinte, bettelte und zitterte ich völlig ohne jede Kontrolle. Sam besuchte mich täglich. Strich mir über die Stirn, hielt meine Hand und redete mir gut zu. Hatte ich, als ich sie anrief gedacht schlimmer als damals zu Hause könne es mir hier nicht gehen? Ich hatte mich geirrt! Wieviel und was man im Leben besser hätte machen können, sieht man immer erst wenn man am Boden war. Und während Sam meine Hand hielt wusste ich plötzlich das ich noch die Chance hatte das Ruder rumzureißen. Ich will damit nicht sagen, dass es ein leichtes war nach dieser Erkenntnis weder Alkohol noch Drogen jemals wieder anzurühren. Nein, ganz im Gegenteil. Es war und ist eine andauernde, kraftzehrende Ausdauerprobe. Wer einmal süchtig war, egal nach was, spürt den drang etwas davon zu nehmen mit einem Teil von sich, der wohl bei jedem verschiedengroß, doch immer vorhanden ist, sein Leben lang. Doch die AA, also die anonymen Alkoholiker, und auch die psychologische Betreuung die ich bekam, halfen mir sehr. Was gibt es noch zu sagen?
Aus jedem Fehler, egal wie klein, lernt man in irgendeiner Weise und so war meine Vergangenheit vielleicht nicht vollends umsonst. Schaut nie auf Bettler, Alkohol- und Drogensüchtige hinab, den ihr könnt nie wirklich vollends die Situation erfassen die ihn oder sie zu dem machte, der er heute ist.

Und so stand er auf, verabschiedete sich sowohl von der Lehrerin, als auch von der bis eben gebannt lauschenden Klasse und ging nach Hause. ,,Geht es dir gut, Liebling?", fragte seine Frau Samantha. ,,Ja, was in der Vergangenheit ist, wird auch dort bleiben!", sagte er lächelnd während er ihrem Sohn durchs Haar fuhr und ihm zärtlich lächelnd seine Polizeimütze aufsetzte. ,,Hoffentlich lernen die Kids aus meinen und nicht ihren eigenen Fehlern, den die Hehler haben wir noch nicht schnappen können!"

(c) Nadine Markowitz

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