Irgendwann
begannen sie sich darüber lustig zu machen, dass ich nichts sagte.
Ich verteidigte mich nicht - redete nicht. Taten sie es um
auszutesten wann ich etwas sagen würde? Oder mich gar wehren würde?
Ich weiß es nicht. Aber es wurde schlimmer...
Sie
begannen mir auf den Fluren Beine in den Weg zu stellen, Luft aus den
Schläuchen meines Fahrrades zu lassen, mich mit Papierkugeln zu
bewerfen und sorgten dafür das alle paar Wochen *zufällig* eine
Safttüte in meinem Rucksack auslief, was meine Schulbücher von mal
zu mal unleserlicher machte. Auch ließen sie kaum eine Möglichkeit
aus mir auf den Fluren ,,Was guckst du den so blöd" und
ähnliches hinterher zu rufen, so dass ich mir schnell angewöhnte
mit gesenktem Blick durch die Gänge zu eilen und mich in Ecken zu
verdrücken in die man eher selten sah.
Die
Lehrer versuchten ab und zu mich zu integrieren. Zwangen mich bei
Schulprojekten mitzumachen und bestraften dann und wann welche von
denen die mich mobbten. Aber eher selten da ich nie petzte und die
Namen der Schüler (da ich ja fast nur zu Boden sah) eh nicht
zuordnen konnte. Außerdem brachten die Strafen, wenn sie den mal
welche bekamen, nur geringfügig etwas. Nämlich das sie mich noch
stärker mobbten als vorher.
Mein
14. Geburtstag war wohl der schrecklichste Tag in meinem Leben.
Zumindest bisher, dass kann ich euch versichern. Es fing an wie jeden
Tag. Nicht mal besonders schlimm. Mein Fahrradreifen war
ausnahmsweise nur platt und hatte kein Loch. Nachdem ich ihn
aufgepumpt hatte, verabschiedete ich mich von meiner Mum. Mein Dad
war in der Garage und checkte das Auto. Wenn ich zur Schule fahren
würde, würden sie in die Stadt fahren und für unseren Urlaub
einkaufen. Ich freute mich schon sehr auf den Urlaub. Auch wenn man
sich als Junge in meinem Alter sicher lieber die Zunge abbiss als es
zuzugeben, aber ich liebte meine Eltern. Und zwei Wochen mit ihnen
und ohne die Schulfolter kamen mir vor wie der Himmel auf Erden.
Sie
nahm mich in den Arm und fragte besorgt: ,,Schatz, bist du wirklich
sicher das wir nicht umziehen sollen damit du die Schule wechseln
kannst?" Ich wollte die Schule wechseln. Mehr als alles andere.
Aber wenn wir umzögen müssten meine Eltern ihren Traum von einem
eigenen Haus aufgeben. Im Augenblick hatte das Haus durch die
aktuelle Marktlage viel an Wert verloren. Wert den es sicher
wiedergewinnen würde, wenn es meinen Eltern dann noch gehörte.
Jetzt zu verkaufen wäre... dumm.
,,
Nein Mum, im Augenblick ist es gar nicht so schlimm. Sorgt euch nicht
meinetwegen." Die Lüge kostete mich viel Kraft, aber als sich
ihr Gesicht aufhellte machte es die Mühe gleich doppelt wieder wett.
Und so schwang ich mich auf den Sattel und fuhr los.
Auch
während des Unterrichts passierte noch nicht wirklich was Schlimmes.
Wie immer. Ich sagte nur etwas wenn der Lehrer mich drannahm und
hielt mich von meinen Mitschülern fern. Wir bekamen auch eine Arbeit
zurück. Eine zwei. Mist. Ich bemühte mich immer dreien zu
schreiben. Durchschnittliche, nicht zu gute - nicht zu schlechte
dreien. Dreien wegen denen man nicht noch mehr gemobbt (Streber -
Idiot) werden konnte.
Ich
kam gerade aus dem Schulgebäude und ging Richtung Fahrradständer
als ich die Gruppe
sah
die zwischen mir und meinem Fahrrad stand. Wie ich es gewöhnt war
machte ich, möglichst unauffällig, einen leichten Bogen um sie. Als
jemand den ich nicht hatte kommen hören / sehen mich in ihre
Richtung schubste. Eh ich wusste was los war, griffen sich zwei Jungs
meine Arme und hielten sie auf meinem Rücken fest. Die nächsten
zwanzig Minuten verdränge ich am liebsten. Es war schmerzhaft und
... sagen wir es so. Ich kann inzwischen gut nachvollziehen warum
Vergewaltigungsopfer der Polizei so ungern von ihren Erlebnissen
erzählen. Mal im ernst, selbst mir fällt es gerade schwer. Und das
obwohl ihr nicht gerade mit einem Notizblock oder gar einer
altmodischen Schreibmaschine dasitzt und mich durchdringend anstarrt.
Also, wo war ich stehen geblieben... ach ja.
Sie
hielten meine Hände auf meinem Rücken fest und mir die Augen zu.
Rissen mir meine Jacke und Sweatshirt vom Leib. Erst versuchten sie
es auch mit der Hose doch die war zu stabil. Und so zogen sie mich
kurzerhand komplett aus. Ich hatte nicht versucht mich zu wehren. Und
allein für diese Tatsache ekelte ich mich selber an. Es war kalt.
Obwohl es erst Mitte November war lag der Schnee schon dick überall
wohin der Blick auch wanderte. Wenn ich vorher nicht vor Angst
gezittert hatte, zitterte ich spätestens jetzt vor Kälte. Sie
schlugen mich solange bis ich zu schwach war um mich aus eigener
Kraft auf den Beinen zu halten. Bis ihr festhalten zu einem
Obenhalten wurde. Dann schoben sie mir einen dicken Stock schmerzhaft
in den Hintern. Ein hilfloses Schluchzen kam über meine Lippen.
Jemand anderes, wie gesagt ich sah nichts, griff nach meinen Hoden
und presste sie. Pressen, das drücken von etwas weicherem zwischen
zwei konstant harten. Ich schrie gequält. Sie lachten und drückten
noch etwas fester. Als ich mir vor Schmerz in die (nicht vorhandene)
Hose machte ließen sie lachend von mir ab und gingen weg.
Ich
weiß nicht wie lange ich dort zitternd im Schnee lag. Betete
verzweifelt darum, dass jemand kam und mich ins warme brachte oder
wenigstens Bewusstlos schlug. Eigentlich war mir letzteres sogar
lieber. Hier erfrieren. Weder Kälte, Schmerz oder Scham jemals
wieder spüren. Ich weiß nicht mehr wann, aber irgendwann wurde ich
dann doch endlich ohnmächtig...
Fortsetzung
folgt...
Damals
hatte mich eine Lehrerin gefunden. Da ich ohnmächtig war, weiß ich
es nur, weil es mir eine Krankenschwester erzählte. Sie hatte einen
anderen Lehrer gerufen und gemeinsam hatten sie mich ins
Krankenzimmer getragen, in ein paar Wolldecken gewickelt und den
Notarzt gerufen. Sie versuchten mehrere Tage lang meine Eltern zu
informieren, bis schließlich zwei Polizisten vor meinem Bett
standen. Eine davon, eine kleine, dünne Polizistin mit zu einem
strengen Pferdeschwanz gebundenem, blondem Haar, erzählte mir mit
leiser Stimme das meine Eltern bereits vor mehreren Tagen bei einem
Autounfall ums Leben gekommen waren. An meinem Geburtstag. Außer
ihnen hatte ich keine lebenden Verwandten mehr gehabt. Was nun?
Als
ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bekam ich einen Platz in
einem Kinderheim. Ich würde nicht sagen, dass ich dort glücklich
war, aber mir ging es besser. Die Negativität meiner Schulzeit und
das positive mit meinen Eltern wurden zu einem beständigen neutral.
Die
Kinder des Heims redeten zwar auch nur selten und wenn dann nur das
nötigste mit mir (Hast du mal Feuer? Kann ich die Hausaufgaben
abschreiben? Du sollst zur Chefin wegen der Beerdigung) Aber da ich
noch neu für sie war, waren sie von den Mobbing-Anführern noch
nicht so aufgehetzt. Was habe ich nur an mir, dass ich es immer
schaffe mich, ohne etwas besonderes zu tun, ins Abseits zu stellen?
Bereits
nach nur zwei Monaten wurde ich adoptiert. Meine... ja, wie nannte
man die Personen die sich bis dato im Heim um uns gekümmert hatten
eigentlich? Erzieherin? Heimbetreuerin? Naja, jedenfalls meinte sie
ich hätte unglaubliches Glück gehabt. Kaum ein Junge, oder generell
ein Kind, wurde mit 14 Jahren noch adoptiert. Wahrscheinlich nahmen
sie es gerade deswegen mit den Hintergrundrecherchen zu meiner
Stieffamilie nicht allzu genau...
Als
meine neuen Stiefeltern mich abholten, hatte ich bereits kein gutes
Gefühl. Die Formalitäten waren bereits zwei Wochen vorher erledigt
worden und so musste ich nur meinen Rucksack, in dem ich nur ein paar
Kleidungsstücke und meinen MP3 hatte, packen und ins Auto steigen.
Mein
Stiefvater, ein 41 jähriger, glatzköpfiger, großer Mann in einem
chicen grauen Anzug mit Krawatte und meine schlanke Stiefmutter mit
ihren 37 Jahren in ihrem eng anliegenden, geblümten Kleid waren
eindeutig vorzeigbar.
Wo
fange ich nun am besten an? Und wo höre ich auf?
Wir
fuhren mit einem gepflegten, aber schon ein paar Jahre auf dem Buckel
habenden Audi mehrere hundert Kilometer bis zu einem kleinen Dorf im
grünen. Auf der Fahrt dorthin kam ich schnell mit meiner neuen
,,Nenn mich einfach Mum" Stiefmutter ins Gespräch. Ich erfuhr
das sie sich schon immer ein Kind gewünscht hatte, sie zu einem
kleinen Haus fuhren, was hoffentlich, wenn alles gut ginge, in 12
Jahren ihnen gehören würde, dass sie von zu Hause aus als
Architektin für ein paar, ständig wechselnde Kunden arbeitete.
Dort
angekommen führte sie mich durch das ganze Haus und zeigte mir zum
Schluss mein Zimmer. Ein kleines, gemütliches Dachgeschoßzimmer mit
einem weichen Bett, Fernseher, Kleiderschrank, Schreibtisch und sogar
einem gebrauchten Laptop als ,,Willkommen in unserer
Familie-Geschenk.
Wochen
und sogar Monate vergingen relativ ereignislos. Wieder erwarten
fühlte ich mich bei ihnen wohl. In der Schule wurde ich zwar
inzwischen wieder geärgert, doch es war eher ein fobben als mobben.
Jeder der jemals ein Außenseiter war, dem brauche ich den
Unterschied nicht zu erklären. Für alle anderen... lasst mich
überlegen wie ich es am Besten formuliere... Stellt euch eine Skala
von 1 - 5 vor. Auf dieser ist 5 das schlimmste. Mobben. Fobben gehört
eher in die 2-3er Kategorie. Also um wieder aufs Thema zurück zu
kommen. Mir ging es relativ gut.
Bis
ich das Geheimnis meiner Stiefmutter erfuhr...
Ich
suchte meine Stiefmutter. Weswegen das weiß ich heute nicht mehr.
Kennt ihr das? Dass, wenn etwas passiert das einen extrem erschüttert
oder das Auslöser für etwas stark lebensveränderndes ist,
Kleinigkeiten aus eben dieser Zeit aus dem Gedächtnis verschwinden?
Bei
mir war es so.
Ich
klopfte an ihre Schlafzimmertür, hinter der ich sie vermutete. Durch
die Tür drang leise Musik, so dass sie mich vermutlich nicht hörte.
Leise öffnete ich sie einen Spalt. Bereit, sie jederzeit
blitzschnell wieder zu schließen falls sie sich gerade umzog oder
etwas ähnliches. Meine Mutter stand mit dem Rücken zu mir vor ihrem
Spiegel. Im Spiel konnte ich ihre Haare sehen - die sie in der Hand
hielt. Ich rang nach Luft während sie sich bleich zu mir umdrehte.
Einige
Sekunden standen wir schweigend voreinander. Dann atmete sie tief
durch, setze sich ihre Perücke wieder auf den Kopf und bat mich,
mich hinzusetzen. ,,Ich hätte es dir beichten sollen. Ich möchte
dass du verstehst warum ich dir nichts erzählt habe. Schon mein
ganzes
Leben
habe ich mir Kinder oder wenigstens ein Kind gewünscht. Mein Mann
und ich haben
es
beinah 12 Jahre probiert. Nun, sind wir weder jung noch wohlhabend.
Zwei Dinge die bei einer Adoption eigentlich fast Pflicht sind. Als
auch noch meine Krankheit - der Lungen- und Hirntumor dazukam waren
unsere Chancen jemals ein Kind adoptieren zu dürfen praktisch null.
Also haben wir diesen Teil... verheimlicht. "
Ihre
Augen füllten sich mit Tränen und ihre Aussprache wurde immer
undeutlicher während sie weitersprach. ,,Als wir die Zusage bekamen,
dich adoptieren zu können, war ich... unbeschreibbar glücklich. Ein
eigenes Kind, noch dazu ein 14jähriges Problemkind, das mich meine
eigenen Sorgen vergessen lässt. Aber... schluchz... du bist kein
Problemkind... du bist das Beste was einer Mutter widerfahren kann.
Ihre Stimme erstarb.
Kurz
nach diesem Geständnis sähte der Krebs. Umso schlimmer es um meine
Stiefmutter stand, umso stärkere Schmerzen sie hatte, bleicher und
dünner sie wurde, umso griesgrämiger und streitlustiger wurde mein
Stiefvater. Man sollte meinen, dass man alles tut um es denen die man
liebt in so einer Situation leichter zu machen. Naja, ich vermutete
dass er seelisch schwächer als körperlich war und tat meinerseits
alles um es meiner Mum leicht und angenehm zu machen.
Trotzdem
dauerte es nachdem der Krebs gesäht hatte, keine drei Monate mehr
bis sie starb.
Mein
Stiefvater begann zu trinken. Es gibt Personen die werden lustig,
unterhaltsam und locker wenn sie betrunken sind. Zu denen gehörte er
weiß Gott nicht. Er kam meist spät abends nach Hause - was seit
ihrem Tod gar kein zu Hause mehr war. Schlug und trat mich, drückte
Zigaretten auf mir aus und tat alles was ihm sonst noch so einfiel.
Warum
ich mich nicht wehrte oder weglief? Zum einen, weil er trotz meiner
inzwischen 16 Jahre fast einen Kopf größer und 20 Kilogramm
schwerer war. Zum anderen fühlte ich mich wegen meiner verstorbenen
Stiefmutter verpflichtet bei ihm zu bleiben. Unbestritten hatte sie
ihn geliebt.
Warum
er mich schlug? Ich sagte zu viel oder zu wenig, im Kühlschrank war
zu wenig, etwas zu teures oder etwas falsches, das Haus war nicht
sauber und meine Noten zu schlecht. Er fand fast immer einen Grund.
Und wenn nicht, war es auch nicht schlimm. Den niemand forderte eine
Erklärung...
Fortsetzung
folgt...
So
blieb es die letzten drei Jahre bis ich alt genug war um auszuziehen.
Wäre dies eine Geschichte oder ein Film würde ich jetzt wohl die
Zähne zusammenbeißen und um mein Leben und Glück kämpfen. Nun
leider ist es weder das eine noch das andere. Ich zog in eine
heruntergekommene Ein-Zimmer-Wohnung mit abblätternder Tapete und
Schimmel in den Ecken. Mit leckendem Wasserhahn und nur lauwarmem
Wasser. Im Haus in dem ich wohnte waren von den 12 Parteien
mindestens 9 Harz4-Empfänger. Die Gegend fast ein Ghetto.
Ich
begann zu rauchen und kurze Zeit später auch zu trinken. Ich hatte
furchtbare Albträume von dem Mobbing in der Schule, den Beerdigungen
meiner Eltern und später auch meiner Stiefmutter, den Situationen in
denen mich mein Stiefvater verprügelte oder auch als meine
Stiefmutter mir beichtete das sie Krebs hatte. Beides half mir
irgendwie dabei mich zu entspannen. Meine Vergangenheit und nicht
zuletzt auch die Gegenwart auszublenden. Umso länger ich in der
Gegend wohnte, ohne Job, Freunde und Familie, umso stärker wurde das
Gefühl der Minderwertigkeit. Ein Gefühl was einen bitteren
Geschmack im Mund und ein brennendes im Herzen hinterlässt.
Einmal
pro Woche ging ich zum Arbeitsamt. Ein-Euro-Jobs in denen ich nach
kurzer Zeit
wieder
entlassen wurde obwohl ich mich ernsthaft bemühte mich gut
anzustellen. Wisst ihr was es bedeutet wenn: ,,Er hat sich steht’s
bemüht…" in einem Zeugnis steht? Es bedeutet :,,Er hat’s
versucht aber nie geschafft. Eine Niete!" So etwas zu hören war
jedes Mal ein Schlag ins Gesicht für mich. Wie lässt sich das
Gefühl am besten erklären.... Stellt euch vor ihr seid bereits
erwachsen und man würde euch trotzdem noch mal in die erste Klasse
schicken - und ihr wärt der Schlechteste dort.
Von
so einem Besuch beim Arbeitsamt kam ich auch, als ich an der Ecke an
der auch meine Wohnung lag die Jankies sah. Junge, drogenabhängige
Leute, die wie ich erst seit kurzem erwachsen waren und nichts mit
sich anzufangen wussten. Sie lachten und erzählten schmutzige Witze.
Ihr Leid sah man ihnen nicht an. Es ging gerade eine kleine Tüte mit
einem weißen Pulver rum. Ich weiß nicht was mich damals dazu trieb.
Vielleicht war ich so niedergeschlagen vom Tag auf dem Arbeitsamt,
vielleicht war ich aber auch generell mit meinen Kräften am Ende.
Jedenfalls ging ich hin und kaufte etwas von dem Pulver.
Wie
ich es schon optisch bei den Jankies gesehen hatte, wirkte das Pulver
wahre Wunder. Es war zwar mit 50€ sehr teuer gewesen aber ich
wollte die Probleme ja nicht chronisch damit ausblenden, sondern nur
ein oder zwei Tage. Also würde ich auch nicht süchtig werden, sagte
ich mir. Und so setzte ich mich aufs Bett (die einzige
Sitzmöglichkeit in meine Wohnung) und holte das Päckchen aus meiner
Jackentasche. Und so begann ich Drogen zu nehmen.
Auch
wenn ich mir gesagt hatte das ich sie nur ein oder zweimal nehmen
würde, fiel mir immer eine andere Ausrede ein mich selbst zu
belügen. Das Arbeitsamt hatte mir heute besonders zu schaffen
gemacht, ein echt fieser Albtraum, ich hatte schon wieder nichts
essbares im Kühlschrank und auf einmal mehr oder weniger kam es ja
ohnehin nicht an.
Schon
bald rissen die *gelegentlichen* Drogen eine erhebliche Lücke in
mein Portmonai und ich versuchte aufzuhören - versuchte es wirklich.
Doch ohne es zu merken war ich längst abhängig geworden. Ich begann
das wenige was ich besaß zu verkaufen. Fernseher, Radio, DVD-Player,
Bett - alles entbehrlich. Irgendwann gab es nichts mehr zu verkaufen.
Ich träumte davon wie ich zum Arbeitsamt ging und sagte: ,,Ich bin
so ein guter Arbeitsloser, ich verdiene eine Gehaltserhöhung!",
und das erste Mal seit langem wachte ich mit einem Grinsen auf dem
Gesicht auf, auch wenn es nicht lange hielt.
Nach
mehreren Tagen konnte ich nicht mehr schlafen so sehr brauchte ich
die Drogen. Ich wanderte mit zitternden Händen durch die dunklen
Gassen. Es war weit nach Mitternacht doch um Zeiten scherte ich mich
schon ne ganze Weile nicht mehr. Ich weiß nicht wie ich euch
beschreiben soll wie verzweifelt ich damals war. Hier hört es sich
sicher nüchtern und sachlich an, aber hat einer schon mal einen
Entzug mitgemacht? Oder wenigstens in einer Soap mal gesehen wie so
einer abläuft? In Soaps wird ja so einiges dramatisiert, aber wenn
da einer gefesselt auf einem Bett liegt, vor Schmerzen schreit,
schwitzt und um Hilfe fleht, wenn man richtig sieht das jedes
rationale Verhalten passe ist, dann ist das etwa die Situation in der
ich mich damals befand. Ich war inzwischen soweit das ich so ziemlich
alles für ein noch so winziges Päckchen von egal welcher
Drogensorte gegeben hätte. Wenn ich nur wüsste was ich noch geben
konnte...
Du
verdienst es nicht zu Leben, bring dich um.
Mach
einen Bankraub.
Brich
irgendwo ein, dann hast du Knete.
Hunderte
solcher Ideen schossen mir durch den Kopf. Das einzig Gute, was ich
auf die damalige Zeit bezogen sagen kann, ist das ich mich strickt
weigerte andere zu verletzen. Ich weiß nicht wie lange ich es noch
geschafft hätte auf diesem Standpunkt zu beharren. Lange sicherlich
nicht mehr. Oft stand ich in meiner Verzweifelung in der Küche. Ein
großes Messer auf meine Kehle gerichtet.
Wenn
du jetzt den Mut aufbringst zuzustechen hast du es in wenigen Minuten
hinter dir.
Oder
ich saß auf meinem Bett, die Hand voller Schlaftabletten.
Du
wirst nichts spüren...
Fest
entschlossen mich umzubringen füllte ich Wasser in Tupperboxen die
ich dann in die Eistruhe legte. Ein paar Stunden später, nachdem ich
einen herzzerreißenden Abschiedsbrief, in der Hoffnung, wer auch
immer ihn lese und mich fände, möge es nicht ganz egal sein das ich
starb, holte ich die Tupperboxen aus dem Eisfach, und legte mich in
die Wanne. Den Wasserhahn drehte ich bei minimalem Strahl so kalt es
ging auf. Als die Wanne halb voll war zitterte ich wie verrückt. Ich
drehte den Strahl ganz auf und spürte wie das Wasser meinen
Brustkorb bedeckte. Mein Atem beschleunigte sich. ,,Das ertrag ich
nicht.", dachte ich Zähne klappernd. Warf jedoch trotzdem die
riesigen Eiswürfel ins Wasser. Mein Herz raste. Meine Haut brannte
vor Kälte. ,,Das überleb ich nicht", dachte ich und schalt
mich in der nächsten Sekunde selbst. Ich wollte es doch auch nicht
überleben. Irgendwann übernahm mein Lebenswille die Kontrolle und
ich wollte mich aus der Wanne ziehen. War allerdings durch die Kälte
bereits zu geschwächt dazu. Mit letzter Kraft zog ich den Stöpsel
aus der Wanne bevor ich Ohnmächtig wurde. Als ich wieder zu mir kam
zitterte ich noch immer. Hilflos schluchzte ich auf. ,,Du Feigling,
du Arsch, schreibst so einen Mitleiderregenden Brief vonwegen du
ertrügest es nicht mehr und glaubst es sogar selber und dann kneifst
du!" Ich schloss dich Augen. Wollte nurnoch in mein warmes,
weiches Bett. Natürlich symbolisch gesprochen den mein Bett hatte
ich ja bereits vor einigen Wochen verkauft. Nach mehreren Minuten
brachte ich endlich die Kraft auf mich aus der Wanne zu ziehen und
kuschelte mich in die Ecke aus Decken und Kissen die inzwischen mein
Bett ersetzte.
Jedenfalls
hatte ich schon einige Male versucht mich zu erlösen und war zu
feige gewesen. Nun brauchte ich eine Möglichkeit an Drogen zukommen.
Also wie gesagt wanderte ich durch die dunklen Straßen auf der Suche
nach der Idee die mich erlöste.
Am
Ende einer der vielen Gassen sah ich einen Mann Drogen verkaufte. Ich
rannte blind vor Gier hin und fiel vor ihm auf die Knie. ,, Bitte
geben Sie mir was! Ich tue was sie wollen!!!"
,,Komm
mit Junge" Ich hatte es schon oft in Talkshows zum Thema Drogen
und Geldbeschaffung gehört. Mir war natürlich auch klar, dass es
das nicht nur für Frauen gab, schließlich gab es ja auch Schwule.
Dennoch hatte ich nie bewusst darüber nachgedacht auf diese Weise an
Geld zu kommen. Hatte die Möglichkeit vielleicht auch unbewusst
verdrängt wegen meiner schulischen Vergangenheit. Nun, sah ich sie
und ich nutzte sie auch wenn es mir ein gräul war - ich ging auf den
Strich.
Eines
morgens nach einer besonders Arbeitsreichen Nacht wachte ich mit
Schüttelfrost, Fieber und einem beinah unerträglich brennenden
Unterleib auf. Ich drehte mich auf die Seite und krümmte mich
zusammen. Tränen traten mir in die Augen sosehr brannte es.
,,Hilfe:", flüsterte ich gequält. Mit meiner *Arbeit*
verdiente man zwar viel Geld, aber Drogen waren unglaublich teuer.
Das merkte ich das erste Mal bewusst, als ich trotz eines
schmerzenden Hinterns weder Geld in meinem Portmonai noch Drogen in
meiner Reichweite fand. Gequält griff ich nach meinem Handy. Nein,
es gehörte nicht mir, aber mein Zuhälter wollte dass ich erreichbar
war um unseren Kunden schneller zu diensten sein zu können.
Jedenfalls rief ich ihn an. Ihr denkt er wünschte mir eine gute
Besserung und schickte mir die Knete per Post? Weit gefehlt. Ich
bekam kurz und knapp gesagt, das ich, wenn ich nicht auftauchen
würde, mir einen anderen Job suchen könne und bei ihm nicht mehr
aufzutauchen brauche. Ich versuchte daraufhin zwar ernsthaft
aufzustehen, doch ich schaffte es bei weitem nicht. Und
das
war gut so. Nach fast zwei Tagen war ich fest davon überzeugt zu
sterben. Meine Situation hatte sich nur in soweit verändert, dass
ích seitdem nichts gegessen und kaum getrunken hatte. Außerdem
zeigte mein Körper erste, alles andere als angenehme,
Entzugserscheinungen. Krämpfe; Atemnot und Herzrasen begannen mich
heimzusuchen.
In
einem klaren Moment wurde mir eines klar: ,,Wenn du jetzt keine Hilfe
bekommst ist dein Leben verwirkt." Ich griff erneut nach dem
Handy. Diesmal rief ich 112 an. ,,Bitte... helfen sie mir", war
alles was ich sagen konnte bevor mich ein weiterer Krampf heimsuchte
und ich gequält wimmerte. Nach einer scheinbaren Ewigkeit hatten sie
endlich alle Daten in ihren Computer eingegeben und einen
Krankenwagen losgeschickt. Irgendwie muss ich wohl eingedöst oder
auch kurz ohnmächtig geworden sein, den als ich meine Augen das
nächste Mal öffnete strich mir ein wunderschöner Engel mit zarten
Fingern über die Stirn. ,,Haben Sie uns angerufen? Sie brauchen
Hilfe?!" Ein Schluchzen kam über meine Lippen und ich nickte
heftig. Unwirklich nahm ich wahr wie sie mich auf eine Trage hoben,
mir ein Mittel spritzen was die Schmerzen linderte und mich ins
Krankenhaus fuhren. Ich blickte dem Engel vom Krankenhausbett an. Sie
sprach zu mir. Es kostete mich viel Konzentration ihre Worte zu
verstehen. ,,Mein Name ist Sam. Wir sorgen dafür das du einen Entzug
machst. Tu dir selbst einen Gefallen und werd nicht rückfällig."
Ich nickte und konnte nicht anders als mich ein wenig zu winden.
,,Wirkt das Medikament etwa noch nicht? Hast du noch Schmerzen?"
Ich wurde feuerrot und konnte ihr plötzlich nicht mehr in die Augen
sehen. Doch als sie weiter drängte beichtete ich es ihr schließlich
und eine Krankenschwester kümmerte sich um das Problem *Tripper* Was
mochte Engel Sam nur von mir denken? Ein Arbeitsloser,
drogensüchtiger Trunkenbold mit einem Tripper. Danach gaben sie mir
einen Zettel den ich unterschreiben sollte. Eine
Einverständniserklärung dafür das ich dem Entzug zustimmte.
Während ich unterschrieb zitterte meine Hand furchtbar. Ich betete
das ein Entzug nicht so schmerzhaft und dramatisch war, wie er
beispielsweise in Soaps dargestellt wurde.
Doch
es war schlimmer. Mir wurden ledernde Fesseln um Arme, Beine und
Bauch geschnallt. Am Anfang war es zwar unangenehm aber erträglich.
Ich wand mich ein wenig und zitterte. Doch nach knappen zwei Tagen
schrie, weinte, bettelte und zitterte ich völlig ohne jede
Kontrolle. Sam besuchte mich täglich. Strich mir über die Stirn,
hielt meine Hand und redete mir gut zu. Hatte ich, als ich sie anrief
gedacht schlimmer als damals zu Hause könne es mir hier nicht gehen?
Ich hatte mich geirrt! Wieviel und was man im Leben besser hätte
machen können, sieht man immer erst wenn man am Boden war. Und
während Sam meine Hand hielt wusste ich plötzlich das ich noch die
Chance hatte das Ruder rumzureißen. Ich will damit nicht sagen, dass
es ein leichtes war nach dieser Erkenntnis weder Alkohol noch Drogen
jemals wieder anzurühren. Nein, ganz im Gegenteil. Es war und ist
eine andauernde, kraftzehrende Ausdauerprobe. Wer einmal süchtig
war, egal nach was, spürt den drang etwas davon zu nehmen mit einem
Teil von sich, der wohl bei jedem verschiedengroß, doch immer
vorhanden ist, sein Leben lang. Doch die AA, also die anonymen
Alkoholiker, und auch die psychologische Betreuung die ich bekam,
halfen mir sehr. Was gibt es noch zu sagen?
Aus
jedem Fehler, egal wie klein, lernt man in irgendeiner Weise und so
war meine Vergangenheit vielleicht nicht vollends umsonst. Schaut nie
auf Bettler, Alkohol- und Drogensüchtige hinab, den ihr könnt nie
wirklich vollends die Situation erfassen die ihn oder sie zu dem
machte, der er heute ist.
Und
so stand er auf, verabschiedete sich sowohl von der Lehrerin, als
auch von der bis eben gebannt lauschenden Klasse und ging nach Hause.
,,Geht es dir gut, Liebling?", fragte seine Frau Samantha. ,,Ja,
was in der Vergangenheit ist, wird auch dort bleiben!", sagte er
lächelnd während er ihrem Sohn durchs Haar fuhr und ihm zärtlich
lächelnd seine Polizeimütze aufsetzte. ,,Hoffentlich lernen die
Kids aus meinen und nicht ihren eigenen Fehlern, den die Hehler haben
wir noch nicht schnappen können!"
(c)
Nadine Markowitz
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